Neue Formensprache in China: Das Design-Reich der Mitte

2022-09-19 13:52:55 By : Mr. Jack Zhang

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China ist bekannt für raffiniertes Kunsthandwerk und billige Massenware. Bis jetzt. Eine neue Generation Gestalter will das Land mit einer modernen Formensprache zu alter Design-Größe führen. Das ist ganz im Sinne der Regierung.

Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das geht so: „Im Himmel gibt es das Paradies, auf der Erde gibt es Suzhou und Hangzhou.“ Einem Chinesen müssen Sie diesen Spruch nicht zweimal erklären. Die beiden Städte an der Ostküste des Landes, mit dem Schnellzug sind es keine 50 Minuten nach Schanghai, sind gewissermaßen nationales Kulturgut: In der Song-Dynastie war Hangzhou die Hauptstadt des Landes, ein Hochamt von Kultur und Ästhetik. In Europa wirbt das Fremdenverkehrsamt Chinas damit, dass Marco Polo nach seinem Besuch gesagt haben soll, Hangzhou sei „die schönste Stadt der Welt“. Hangzhou ist aber nicht nur schön, sondern vor allem schön langsam: Man sagt, die Menschen in Hangzhou seien glücklicher als anderswo. Und das ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum Hangzhou heute noch etwas ganz anderes ist: die neue Designhauptstadt Chinas. Zumindest, wenn es um Möbel geht.

In den vergangenen Jahren hat sich in Hangzhou eine Riege unabhängiger Designer etabliert, die dem abschätzigen Bild, das der Westen oft von „Made in China“ hat, radikal entgegentreten. Einer von ihnen ist Mario Tsai, der mit Anfang 30 schon zu den gefragtesten Gestaltern des Landes zählt: Mit seinem „Soft Minimalism“ entledigt er sich in seinen Entwürfen allen Überflusses. In der Praxis wird daraus etwa der vier Meter lange, nur wenige Millimeter dicke Tisch „Gongzheng“ aus Aluminiumprofilen, der die Grenzen der Statik zu überwinden scheint; oder die Bank „Grid“ aus einem halben Zentimeter dünnen Sperrholzplatten, die massiv und federleicht zugleich wirkt – und irgendwie auch surreal. „Wir zeigen Strukturen und Materialien so, wie sie sind, weil wir glauben, dass darin eine gewisse Echtheit liegt“, sagt der Designer. Sein jüngster Entwurf trägt den Namen „Electricity Light“: Eine Leuchte aus Glas und Metall, die den Anschein erweckt, man könne dem Strom beim Fließen zusehen. Möglich macht das eine neu entwickelte LED, die mit drei Millimetern zwei Drittel kleiner ist als herkömmliche Lichtbänder und deren Erfindung er für so revolutionär hält wie die Erfindung der Glühbirne.

Eigentlich wollte Mario Tsai Architektur studieren, aber sein Schnitt war zu schlecht. Dass er ins Möbeldesign ging, hält er heute für einen Wink des Schicksals. Vor sieben Jahren hat er sein Studio in Hangzhou eröffnet – da war er Mitte 20. Doch in China kann man auch als junger Mensch eine Menge bewirken. In der Architektur kommt es zum Beispiel nicht selten vor, dass Studenten gleich nach ihrem Abschluss den Zuschlag für prestigeträchtige Bauten bekommen. Und während Designer im Westen häufig erst spät durchstarten, weil sie nach ihrem Studium zunächst in etablierten Studios Erfahrungen sammeln oder gleich zu einem großen Hersteller gehen, machen sich viele Chinesen gleich nach dem Studium selbständig. Der Hunger nach Neuem ist groß, der Druck enorm, aber die Bereitschaft zu kämpfen auch: Mario Tsai arbeitet nach eigenem Bekunden mehr als 100 Stunden pro Woche.

„In den letzten drei Jahren hat sich chinesisches Design mit rasender Geschwindigkeit entwickelt“, sagt Zhuo Tan, die Leiterin der größten Designmesse Asiens. Als die „Design Shanghai“ 2014 lanciert wurde, stellten vor allem ausländische Firmen aus. Mittlerweile kommt ein Viertel der mehr als 400 Aussteller aus China selbst. Angetrieben wird dieser Wandel nicht nur von der rasanten Urbanisierung, sondern auch von einer wohlhabenderen, konsumfreudigen und vor allem jungen Mittelschicht, die sich gerade ihre ersten Wohnungen einrichtet. „Die Käufer sind oft erst Mitte 20, haben im Ausland studiert und stellen andere Ansprüche an Lebensqualität als ihre Eltern“, sagt Zhuo Tan. Die äußert sich freilich nicht in übermäßiger Libertinage, sondern vor allem materiell: Das Finanzmedienportal Yicai schätzte den chinesischen Markt für Möbel und Dekorationsobjekte 2018 auf 5 Trillionen Yuan, umgerechnet etwa 673 Milliarden Euro.

Innerhalb weniger Jahre ist die Möbelbranche damit von einer Nischenindustrie zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige gewachsen, dessen jährliches Exportvolumen 50 Milliarden Dollar beträgt. Die Volksrepublik ist die Werkbank des Westens: Nach Schätzungen von McKinsey wird jedes vierte weltweit verkaufte Möbelstück in China produziert. Das nutzen die jungen Designer: Sie können auf hocheffiziente Produktionsanlagen und Lieferketten zurückgreifen – ein Ökosystem, das es ihnen ermöglicht, Prototypen kostengünstig und schnell zu realisieren. Der Haken: „Die Hersteller wären zwar in der Lage, Produkte von hoher Qualität zu liefern, sind aber zu schwerfällig im Umgang mit neuen Entwicklungen“, sagt Zhuo Tan. Sie sind es gewohnt, Produkte innerhalb eines festen technischen Rahmens in großer Zahl zu produzieren. Der Pekinger Designer Frank Chou, sagt sie, habe die Suche nach einem passenden Hersteller für sein Sofa irgendwann aufgegeben. Heute lässt er in Italien fertigen.

„Ist ja auch völlig klar“, sagt Designer Min Chen: „In Europa ist die industrielle Revolution 200 Jahre her. Und wir sollen es in 40 Jahren schaffen?“ Mit den Herstellern sei es wie mit einer Liebesbeziehung, sagt er: „Es braucht seine Zeit.“ Chen kommt aus einer angesehenen Künstlerfamilie, sein Großvater war Vizepräsident der chinesischen Kunstakademie, hielt den Enkel nie für talentiert genug. Mit 21 Jahren studierte er in Deutschland Design in Köln, lernte bei Ilse Crawford in Eindhoven und an der Mailänder Domus-Akademie. Vor neun Jahren gründete er sein Studio in Hangzhou. Min Chen hat sich einen Namen gemacht, weil er sich historischer Gestaltungsmittel und moderner Technik bedient. Deutlich wird das etwa bei seinem Entwurf „Hangzhou“, einem Hocker aus 16 hauchdünnen Bambusfurnieren (0,9 Millimeter!), die bogenförmig nach unten gehen und an ihren Enden zusammengeleimt sind.

Den „Ming Chair“ – ein Sinnbild für Handwerk, Kultur und Ästhetik – setzte er als Bausatz neu zusammen, traditionelle Holzfenster bringt er zum Leuchten. „In der Tradition steckt viel Moderne“, sagt er und schwärmt von der Universalität und Zeitlosigkeit des Ulmer Hockers von Max Bill. „Wir müssen sie nur wiederentdecken.“ Neulich war er in einem Museum in Chengdu und entdeckte ein Service aus Chinalack – einem natürlichen Material, das aus dem Wundsaft des Lackbaumes gewonnen wird. „Ich kannte das gar nicht“, sagt der 41-Jährige. „Zuerst dachte ich, es sei Plastik.“ Nun hat er ein Set aus Schalen in dem Material entworfen; werden die Stücke gestapelt, ist der Durchmesser ihrer Silhouette identisch mit dem der untersten Schale. Die Form entstand am Computer, die Farbpalette ist zeitgenössisch, und die Rauhheit der Ränder kehrt den handwerklichen Charakter der Stücke heraus. „Das Handwerk ist ein Schatz, der von Generation zu Generation vererbt wird. Wir sollten ihn uns bewahren.“ Er bringt altes Handwerk mit ästhetischer Raffinesse in die Gegenwart. Seine Arbeiten wurden schon im National Museum of China, dem Louvre in Paris und der Triennale in Mailand ausgestellt.

Damit arbeitet er – bewusst oder unbewusst – ganz im Sinne der politischen Führung. „Die Regierung fördert schon seit längerer Zeit die Eigenständigkeit chinesischen Designs“, sagt Ralph Wiegmann, Geschäftsführer des International Forums Design Hannover. „Sie investiert immense Mittel in die Ausbildung, fördert die Kreativwirtschaft und hat recht klare Vorstellungen davon, wo chinesisches Design in Zukunft stehen soll. Das folgt nicht unbedingt den klassischen Kriterien einer freien Marktwirtschaft, ist aber gerade deshalb sehr erfolgreich.“ Sein Unternehmen ist mit mehreren Außenstellen in China vertreten. Wiegmann hilft auch europäischen Designern dabei, in China Fuß zu fassen. Die sind dort durchaus willkommen: Wie viele Länder hat China erkannt, dass Design nicht nur imagefördernd ist, sondern auch die nationale Identität stärken kann. Schon in seiner Antrittsrede als Staatschef hatte Xi Jinping 2013 angekündigt, er wolle die „große Renaissance der chinesischen Nation“ einläuten. Dazu gehört auch, Chinas kulturelles Erbe neu aufzuladen.

Es gibt nur ein kleines Problem: Niemand kennt es. Die einen studieren im Westen (von den 85.000 Designstudenten im Ausland kehren 80 Prozent in die Heimat zurück), die anderen lernen an Designschulen Chinas mehr über das Bauhaus als über die Schlitz-und-Zapfen-Konstruktionen der Ming-Dynastie. „Ich glaube, wir brauchen noch etwas Zeit, um unsere eigene Ästhetik zu formen, indem wir anfangen, uns unserer eigenen Kultur bewusst zu werden“, sagt Mario Tsai, der Möbeldesign und -fertigung an der Beijing Forestry University studierte. Denn während sich im Westen eine moderne Designsprache entwickelte, herrschte in China die Kulturrevolution: Mao Tse-tung folgte der nüchternen Sowjet-Ästhetik, in der Möbel Funktion, aber nicht Emotion hatten. „Vor der wirtschaftlichen Öffnung des Landes war die Auswahl sehr begrenzt“, sagt Zhuo Tan. Die Möbel wurden meistens selbst gemacht: Wer einen Stuhl zusammenbauen konnte, war gutes Heiratsmaterial.

Viele studieren im Westen und schaffen zu Hause die Verbindung zur eigenen Tradition. So wird das Land langsam zum Taktgeber.

Erst die Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings legte 1978 den Grundstein für ein neues chinesisches Design, das Mitte der neunziger Jahre mit Künstlern wie Shao Fan, Song Tao und Chen Zhen entstand. Seither ist die Wiederentdeckung der traditionellen Designkultur einer der Haupttreiber des Wachstums. Viele Designer greifen heute in ihren Möbeln die Proportionen und Verarbeitungsmethoden der späten Song- (960–1279) und Ming-Dynastie (1368–1644) auf. Die Minimalästhetik hat schon die Designer der dänischen Moderne beeinflusst: Man denke nur an Hans Wegners „Wishbone Chair“ von 1949, der in China heute ironischerweise zu den am häufigsten kopierten Stühlen gehört. Dieser „Neo-Ming- Stil“ spricht vor allem Kunden an, die in den 1950er bis 1970er Jahren geboren wurden und nostalgisch auf die Vergangenheit des großen Reiches zurückblicken.

„Aber die Lebensrealitäten haben sich seit der Song- und Ming-Dynastie verändert: Dergestalt große Möbel passen nicht mehr in die Wohnzimmer, und junge Menschen sind weltoffener“, sagt Yoko Choy, China-Redakteurin des Designmagazins „Wallpaper“ und Beraterin für Marken auf beiden Kontinenten. Die Jüngeren wollen frisches Design: Europäische Marken wie Hay, &Tradition und Tom Dixon laufen gut. Das habe chinesische Hersteller unter Zugzwang gebracht, sagt Messechefin Zhuo Tan: „In den letzten Jahren beobachten wir eine Evolution nicht nur der Formen, sondern auch der Materialien – weg vom klassischen Design, weg vom Holz hin zu Marmor, Metall und Polsterungen. Ein fast europäischer Look.“ Teilweise, sagt sie, könne man gar keinen Unterschied mehr festmachen.

Wenn etwa die Firma Ziinlife in New York ihre Entwürfe zeigt, sind die meisten Besucher überrascht, dass sie aus Schanghai kommt. Ziinlife ist besonders bei jungen Familien in chinesischen Metropolen einer der begehrtesten Möbelhersteller. Das Unternehmen gibt keine regulären Kollektionen heraus, sondern widmet sich einzelnen Problemen. „Jedes Jahr konzentrieren wir uns auf ein oder zwei große Themen, die die Menschen in ihrem Alltag beschäftigen“, sagt Kiran Zhu, der als Kind oft beobachtete, wie seine Familienmitglieder Möbel umbauten, um sie praktischer zu machen. Nach dem Studium in Mailand kehrte er nach China zurück und gründete die Marke für erschwingliche, zugängliche Möbel 2013 mit seiner Geschäftspartnerin Lily Yang.

Der Name „ziin“ spielt dabei auf das chinesische Wort „zhiin“ an: Seelenverwandte. Also Möbel, die auf jede Lebenslage gefasst sind. Zu den Bestsellern gehören ein Sessel für kleine Räume, in den man sich auch legen kann; ein Schreibtisch für Kinder, der mitwächst, oder ein Tisch, dessen Unterseite gepolstert ist, damit weder Knie noch Kinder sich stoßen; ein Schminktisch, der blitzschnell zum Schreibtisch wird. „Die Stücke müssen nicht nur praktisch sein, sondern auch die Gefühle ansprechen“, sagt Zhu. Viele Entwürfe haben eine spielerische Komponente: Das „Pea Pod Sofa“ etwa sieht aus, als seien die Minions eingezogen.

„Chinesische Verbraucher neigen dazu, sich mehr Gedanken über das Aussehen des Designs als über dessen Qualität zu machen“, sagt Yoko Choy. Das rasant wachsende Ökosystem aus Social-Media-Diensten und Marktplätzen wie Taobao und Tmall (China ist der größte E-Commerce-Markt der Welt) hat Designern einen immensen Binnenmarkt eröffnet, der besonders während der Pandemie stark gewachsen ist. Viele einstige Online-Marken wie Fnji und Zaozuo sind mittlerweile auch offline sehr erfolgreich. Das Internet eröffnet aber auch Fälschern neue Vertriebswege. Zwar sind die großen Online-Händler dem Gesetzgeber zuvorgekommen und sperren offenkundige Kopien 24 Stunden nach Meldung. „Aber oft gibt es dann doch kleine Unterschiede. Durch Seiten wie Taobao braucht es manchmal keine zwei Monate, und ein Entwurf ist tot“, klagt Shaw Liu. Die Designerin – eine der wenigen des Landes – gründete ihr Studio „The Shaw“ 2017 in Guangzhou. Mit ihrer oft auf Hochglanz polierten Avantgarde-Ästhetik macht sie keine Möbel für die Massen, sondern für eine ausgewählte Klientel, die sich die verspiegelt-futuristischen Entwürfe wie den monolithischen Sessel „Lost Space“ leisten kann. Der Markt für dieses „Collectible Design“ wächst auch in China: ein Hybrid aus Kunst und Design, oft aufwendig und in Kleinserien produziert. Shaw Lius Leuchte „Sanctuary“ besteht aus Edelstahl und Alabaster , zwei Elemente, die Wärme und Kälte ausstrahlen, die hier gegeneinander arbeiten und doch eine Einheit bilden, wie der Mond im dunklen Universum.

„Man kann nicht sagen, dass meine Arbeit westlich oder östlich beeinflusst wird. Ich habe in China studiert, die Denkweise der alten Chinesen beeinflusst mich. Zugleich greife ich die westliche Kultur auf“, sagt die Designerin und erzählt, dass die Entwurfsfindung sowohl einer nie gebauten Utopie des Architekturtheoretikers Étienne-Louis Boullée folgte als auch der Herangehensweise alter Gedichte. „Eine sehr wichtige Eigenschaft der überlieferten chinesischen Poesie ist, dass sie die Menschen empfindsam werden lässt. Empfindsamkeit ist eine unverzichtbare Qualität.“

In Guangzhou sitzt auch das Designkollektiv Buzao, 2017 aus der Firma Bentu hervorgegangen, die international auffiel mit terrazzoartigen Tischen, Bänken und Lampenschirmen aus Beton, in den weggeworfene Keramikscherben eingearbeitet waren. Ein schöner Entwurf, zugleich eine Kritik am Überkonsum. Während Bentu vor allem erforscht, was man aus Abfallprodukten Neues schaffen kann, experimentiert Buzao mit Vulkangestein, gefärbtem Marmor und industriellen Materialien wie galvanisiertem Edelstahl, Verbundglas und Aluminiumschaum. „Alle Materie existiert bereits, wir können nichts Neues schaffen, nur Essenzen extrahieren“, sagt Gründerin Zeng Peng.

Den Entwürfen wohnt immer ein Quantum Ungewissheit inne. Manchmal wissen die Designer vorher selbst gar nicht, ob ein Entwurf so wird, wie sie es sich in der Theorie vorstellen. Die Kollektion „Hot“ etwa macht sich ungleichmäßige Verteilung von positiven und negativen Elektronen in galvanisiertem Edelstahl zunutze, um psychedelisch anmutende Oberflächen zu erzeugen. Ob schimmernder Edelstahl, getöntes Glas oder verpixelter Marmor: So kosmopolitisch die Materialstudien wirken, so chinesisch sind sie zuweilen doch. In der Kollektion „Null“ färben die Designer Verbundglas ein, um eine Philosophie von Laotse zu reflektieren: dass Existenz und Nichtexistenz keine Dilemmata sind, sondern gegensätzliche Elemente, bei denen das Ende des einen der Anfang des anderen ist.

Der Farbverlauf gibt den Entwürfen nicht nur ein Gefühl von Leichtigkeit und Vergänglichkeit, sondern Architekturthehebt die Tiefen und Oberflächen der Objekte hervor, die visuell sowohl positiven als auch negativen Raum umfassen. Die Tische, Bänke, Leuchten sind sichtbar und gleichzeitig wieder nicht, je nach Blickwinkel. Die Stücke wurden auf der „Design Miami“ vorgestellt, sie werden auf Bestellung gefertigt. „Da sich der Markt für Designermöbel in China noch im Entstehen befindet, leben Designer nur selten von Aufträgen lokaler Marken – und nur sehr wenige ausländische Marken arbeiten bisher mit ihnen zusammen“, sagt Yoko Choy.

Viele junge chinesische Talente machen sich sofort selbständig. Und sie bekommen oft gleich ihre Chance. Denn der Hunger nach Neuem ist groß, der Druck enorm, aber die Bereitschaft zu kämpfen auch.

So bleibt ihnen nichts übrig, als sich selbst zu organisieren. Mario Tsai investierte 60.000 Euro in seine erste Einzelausstellung auf der Mailänder Designwoche 2019, wo er große Aufmerksamkeit bekam. Für öffentliche Sichtbarkeit sind die Messen in Europa unerlässlich. „Wir können Vorurteile nur beseitigen, wenn wir uns selbst stark genug machen und uns von unserer Herkunft lösen“, sagt er. Im letzten Jahr hat er gemeinsam mit zwei Kollegen die Plattform „Designew“ gegründet, die junge Designer aus aller Welt mit den besten Herstellern in China zusammenbringen soll. „Chinesisches Design befindet sich in der Findungsphase. Es ist zu vielfältig, um unter einer Identität erfasst zu werden“, sagt Choy. Die Industrialisierung der Volkswirtschaft, der steigende Wohlstand und das wachsende Grundvertrauen in die eigenen Kräfte haben den Boden für eine Generation von Designern bereitet, die mit freiem, unbefangenem Blick auf ihr Land schaut. „Chinesische Designer tragen eine schwere Last angesichts dessen, was unsere Vorfahren Hervorragendes geschaffen haben. Wir werden unsere Sprache finden, aber es wird dauern“, sagt der Designer Ximi Li. Li hat lange Zeit das Möbeldesign des renommierten Architekturbüros Neri & Hu verantwortet. Dessen Gründer, Lyndon Neri und Rossana Hu, wollen künftig verstärkt junge Architekten und Designer weiterbilden.

„Über eine Million Chinesen studieren jedes Jahr Design. Wenn auch nur drei Promille von ihnen wirklich talentiert sind, sind wir in zehn Jahren bei einer Zahl, die auf Deutsche und Europäer ein wenig beängstigend wirken könnte“, sagt Ralph Wiegmann vom International Forum Design. Schon heute komme das Design von Waschmaschinen, Fernsehern oder Kühlschränken zum großen Teil aus China. Wenn das Land es schafft, traditionelles Handwerk und künstlerische Ästhetik auch in anderen Bereichen zu etablieren, könnte China in zehn Jahren in vielen Branchen Designtreiber sein und das Gestaltungsmonopol des Westens brechen. „Wir haben ein Sprichwort“, sagt Zhuo Tan: „Was dreißig Jahre am östlichen Ufer lag, kann die nächsten dreißig Jahre am westlichen Ufer liegen.“ Diese Weisheit geht auf den Gelben Fluss zurück, der im Zuge der Geschichte immer wieder sein Bett wechselte. Orte, die vorher östlich des Flusses lagen, befanden sich plötzlich auf der anderen Seite. Die Frage ist also nicht, ob sich der Flusslauf ändert. Die Frage ist nur: wann?

Quelle: F.A.Z. Quarterly

Neue Formensprache in China: Das Design-Reich der Mitte

China ist bekannt für raffiniertes Kunsthandwerk und billige Massenware. Bis jetzt. Eine neue Generation Gestalter will das Land mit einer modernen Formensprache zu alter Design-Größe führen. Das ist ganz im Sinne der Regierung.

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